Sonntag (DDR)
Wolfgang Lange

"ICH HAB EIN ZÄRTLICHES GEFÜHL"

Gastspiel Hermann van Veen; Palast der Republik

25 apr 1982

Hermann van Veens erster Auftrittsort ist der Zuschauerraum, und auf dem Weg zur Bühne läßt er sich Zeit, um mit den weit ausholenden Gesten eines Sämanns Reiskörner, die er aus den Tiefen seiner Hosentaschen holt, über das Publikum zu streuen. Mir schiene es zuwenig, dies ausschließlich als einen billigen Kontaktversuch zu bewerten, der sich eines effektvollen Mittels theatralischen Happenings versichert. Vielmehr sehe ich darin ein bildhaftes Zeichen von mehrfacher Deutbarkeit: ich spüre da seine Sehnsucht nach inniger Kommunikation, seine Hoffnung, die Saat der Gedanken und Gefühle, die mit den Liedern gelegt wird, möge aufgehen, seinen Wunsch, das Publikum möge bemerken, daß ein mitunter kindhaftes Verspieltsein, bestimmte Dinge auszudrücken, ihren Ernst nicht beeinträchtigt, sondern hervorhebt. Möglich, daß mein Interpretationsdrang an euphemistischer Schwäche leidet, wie sie oft jene besitzen, die große Sympathie für die besondere Eigenart eines Künstlers und seine Wirkungsweise empfinden. Sei's drum.


Hermann van Veen holte seinen bedeutsamen Ruf, der ihm vorauseilte, in Berlin, im Palast der Republik, ein. Dort gastierte er an zwei aufeinanderfolgenden Tagen (DT-64-Jugendkonzert gemeinsam mit Chansonsängern der DDR, Galakonzert).

Was ist es, das diesen 37jährigen Holländer und seine Kunst so faszinierend machen? Von allem, was sich aufführen ließe, ist es wohl vornehmlich dies - die beklemmende Zeitnähe, die uns durch seine Lieder und die besondere Weise ihrer Interpretation vermittelt wird. Hermann van Veens Lieder sind so wenig hell leuchtend wie sie apokalyptisch düster sind, sie sind nicht der schillernde Regenbogen über einer heilen Welt und sie ziert kein verklärender optimistischer Finalglanz. Eilfertig neigen wir zur Feststellung, daß sich in diesen bitteren, anklagenden, aggressiven, ironischen, aufwühlenden sozialkritischen Gesängen "nur" der Standpunkt des bürgerlichen Humanisten mitteile, der seine Lebenswelt realistisch scharf reflektiert.
Gleichwohl kommen wir nicht umhin zuzugeben, daß uns, wie erlebt, diese scheinbar so fernen Sujets der Lieder ungeheuer berühren. Die Ängste, yon denen in vielfacher Gestalt in diesen Liedern gesungen wird - wer wollte bestreiten, daß sie auch in unser Lebensgefühl einsickern.

Dennoch geschieht das Wunder, wie es eben große Kunst vermag: van Veen entläßt das Publikum weder ratlos noch depressiv, sondern nachdenklich gestimmt, wachgerüttelt, aktiviert. Van Veen vernichtet nicht den Glauben an die Kraft des Menschen, den Fortbestand der schönsten aller Welten sichern zu können, er beflügelt uns. Mit diesem Eindruck und Gewinn geht man von dannen, und er hätte möglicherweise noch größer sein können, wäre der zweite Programmteil, in dem mehr das artifizielle Moment, die höchst erstaunliche Vielseitigkeit, das grandiose Entertainment dominieren, an den Anfang gestellt.

Hermann van Veen ist ein brillant musizierender Akteur. Was er aussagt, ist nicht allein beredt durch seine warme, kräftige, ausdrucksstarke Stimme, sondern auch durch die Sprache des Körpers, das Spiel mit Requisiten. In seinen hintersinnigen Aktionen, die nicht in jedem Detail nach Entschlüsselung schreien.

herrscht ein stetes Changieren von linearem Erzählverlauf und dessen optischem und akustischem Bruch von teilweise schockartiger Eruption, der sich sogleich wieder Schalk und Aberwitz anschließen. Auch Autobiographisches (seine geigerische Vergangenheit wird, scheint mir, postamentiert in der unterlegten Schubert-Sonatine op. posthum 137) ist einmontiert. Um seine unter großem buntem Hänge-Mond exzellent musizierende Gruppe mit Erik van der Wurff (elektronische Tasteninstrumente/Klavier), Henk Zomer (Saxophon), Gees van der Laarse (Baß) sollte man ihn beneiden.

Es war übrigens das erste Gastspiel des fast asketisch hageren van Veen in einem sozialistischen Land.

Und einer Initiative Barbara Thalheims und der Veranstalter der DT-64- Jugendkonzerte ist es zu danken.



Wolfgang Lange